1. Einleitung

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In Anna Mitgutschs Romanen ist die Interkulturalität ein zentrales Thema. Für zahlreiche ihrer Figuren wird die Fremdheit ein konstitutives Erlebnis. Die für den Beitrag ausgewählten Romane sind In fremden Städten und Haus der Kindheit, deren Hauptfiguren Amerikaner sind, die in einen kulturellen Zwischenraum geraten. Sie fühlen sich durch das Generationsgedächtnis der Familie inspiriert, nach ihren kulturellen Wurzeln zu suchen, die in Europa, in Österreich, liegen. Die Großeltern (In fremden Städten) bzw. die Eltern (Haus der Kindheit) sind aus Europa nach Amerika emigriert und haben die Erinnerung an die Heimat für die Hauptfiguren aufbewahrt. Diese Bindung an die ehemaligen unbekannten Wurzeln ist in den beiden Hauptfiguren stark gefestigt. Im Beitrag wird behauptet, dass die Identität der beiden Hauptfiguren von dieser fremden, durch das kollektive Gedächtnis vermittelte Vergangenheit erheblich geprägt ist. Da Sprache neben dem Familiengedächtnis ein wichtiger Teil der kulturellen Identität ist, fällt es ins Auge, dass in beiden Texten eigentlich in zwei Sprachen gedacht und erzählt wird. Die Texte werden zwar auf Deutsch verfasst, dennoch gibt es an mehreren Stellen englische Figurenreden oder Erzählerreden, die hätten übersetzt werden können, trotzdem wurden sie nicht übersetzt. Der Beitrag untersucht den Kontext dieser Stellen und versucht die Funktion der fremdsprachigen Kommunikation und die Gründe der ausbleibenden Übersetzung zu erklären. Den Ausgangspunkt bilden vier konzeptionelle Stützen.

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Aleida Assmann zufolge sind wir als Individuen von unserem kommunikativen Gedächtnis stark geprägt, das in einem Milieu räumlicher Nähe, regelmäßiger Interaktion, gemeinsamer Lebensformen und geteilter Erfahrungen entsteht. Persönliche Erinnerungen existieren nicht nur in einem besonderen sozialen Milieu, sondern auch in einem spezifischen Zeithorizont. Dieser Zeithorizont wird durch den Wechsel der Generationen bestimmt. Im Generationsgedächtnis existieren verschiedene Generationen − in der Regel sind es drei, im Grenzfall sogar fünf – gleichzeitig und durch persönlichen Austausch bilden sie eine Erfahrungs-, Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft.1 So kann es vorkommen, dass die Romanfiguren indirekt an der Geschichte ihrer Vorfahren teilhaben. Zu den Großeltern sind diese Fäden dünner, zu den Eltern dicker. Indem die Hauptfiguren zu den Orten fahren, wo ihre Vorfahren gelebt haben oder Dinge besitzen, die ihnen gehört haben, sind sie ebenfalls Mitgestalter des Familiengedächtnisses. Die Sprache ist ein wichtiger Teil dieses Gedächtnisses, denn durch Sprache wird die Kultur objektiviert. Welche Sprache das Individuum als Muttersprache/Ausgangssprache verwendet und welchen Kontrast die Fremdsprache/Zielsprache und die Muttersprache/Ausgangssprache in der gleichen Situation bilden, bzw. in welcher sprachlichen Situation dieser Sprachkontrast die Einstellung der Figur bzw. des Erzählers charakterisiert, ist ein Untersuchungsschwerpunkt.

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Martin Zierold zufolge sind Erinnerungen Gegenwartsprozesse und „nicht Erinnerungen entstammen der Vergangenheit, sondern die Vergangenheit verdankt sich der Erinnerung“.2 Erinnerungen sind stets gegenwartsbezogene, aktuelle Konstruktionen mit hoher Bedeutung für den kontinuierlichen Prozess der Identitätsbildung und -bestätigung.3 Somit wird die Identitätssuche und -krise im interkulturellen Umfeld durch den Sprachgebrauch deutlich bestimmt.

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Die dritte konzeptionelle Stütze liegt im Problem der Konvergenz von Übersetzer und Erzähler. Da das Geschehen der Romane von einem zumeist personalen Erzähler in dritter Person Singular erzählt wird, können die Gedanken der Hauptfiguren unmittelbar nachvollzogen werden. So fungiert der Erzähler als eine Instanz, die über die Übersetzbarkeit oder die Notwendigkeit des Übersetzens zu entscheiden hat. Es ist zu überlegen, welchen Zweck der Erzähler verfolgen mag, wenn er die Rede der Hauptfiguren einmal übersetzt und ein anderes Mal nicht. Es geht höchstwahrscheinlich darum, dass der Erzähler zugleich der Übersetzer ist, und weil eine literarische Übersetzung vorliegt, will der Erzähler durch die bewusste Kontrastierung der Ausgangs- und Zielsprache die kulturellen Differenzen, also das interkulturelle Potenzial in dem betreffenden Kontext betonen. Es wurde schon allgemein behauptet, dass der Übersetzer zugleich als Kulturvermittler fungiert4 und bei einer Begegnung von zwei Kulturen wird im Text durch die Kontrastierung von zwei Sprachen das interkulturelle Potenzial des Kontextes noch deutlicher. Auf diese Weise vollzieht sich der bei der Übersetzung so übliche Verlust nicht,5 sondern der Übersetzer/Erzähler kompensiert diesen potenziellen Informationsverlust durch die Verwendung der Fremdsprache, womit zugleich Informationsgewinn für den Rezipienten herbeigeführt wird. Daraus wird ersichtlich, dass sich die Hauptfiguren, zusammen mit dem Erzähler, in zwei parallelen Lebenswelten6 bewegen, deren prägende Mittel die Zweisprachigkeit ist. Zweisprachigkeit in dem Sinne, dass dem Rezipienten bewusst gemacht wird, dass der Erzähler samt Hauptfiguren außerhalb der Zielsprache Deutsch noch einer Sprache mächtig ist, und mit den fremdsprachlichen Äußerungen kommt eine latente Zweisprachigkeit zum Vorschein. Somit wird die verdrängte Kultur repräsentiert. Zu fragen wäre, welche Information, aus wessen Perspektive gewonnen und kompensiert wird, zumal ein Perspektivendreieck von Erzähler, Figur und Leser vorliegt.

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Bezüglich des Begriffs der Fremde gilt in beiden Romanen die Fremde als ein elementares Erlebnis, das sich in Form von Reisen und Lieben vollzieht und von den Hauptfiguren unbewusst und bewusst angestrebt wird. Es erfüllt sie nicht, erbringt nicht die ersehnte normale Identität und Selbstfindung. Die Konstruktion der eigenen Identität vollzieht sich im Bewusstwerden des Anderen, durch Grenzziehung gegen das Andere. Jegliche Begegnung mit der Fremde fördert das Selbstverständnis. Die Fremde kann Faszination oder Bedrohung ausüben. Hofmann führt die innere Fremdheitserfahrung auf Freud zurück, der behauptet, dass das Unheimliche gerade das verdrängte Eigene sei, das heißt also, dass der Mensch sich selbst fremd geworden sei.7 Diese Entfremdung ist laut Freud eine Grunderfahrung moderner Gesellschaften überhaupt. Kristeva konkretisiert Freuds These von der unheimlichen Fremde im Inneren: „Auf befremdliche Weise liegt der Fremde in uns selbst: Er ist die verborgene Seite unserer Identität, der Raum, der unsere Bleibe zunichtemacht, die Zeit, in der das Einverständnis und die Sympathie zugrunde gehen.“8
 
1 Aleida Assmann: Erinnerungsräume: Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. C.H. Beck: München 2006, S. 130.
2 Martin Zierold: Gesellschaftliche Erinnerung. Eine medienkulturwissenschaftliche Perspektive. W. de Gruyter: Berlin 2017, S. 47.
3 Ebd., S. 49.
4 Jörn Albrecht: Literarische Übersetzung. Geschichte – Theorie – kulturelle Wirkung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 1998, S. 60.
5 Erzsébet Drahota-Szabó: A fordítás mint interkulturális kommunikáció. In: Alkalmazott Nyelvészeti Közlemények (Miskolc) 9 (2011), 2, S. 81–103.
6 Albrecht, S. 50.
7 Michael Hofmann: Interkulturelle Literaturwissenschaft. Eine Einführung. UTB: München 2006, S. 16.
8 Julia Kristeva: Fremde sind wir uns selbst. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1990, S. 11.
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