Aus kulturwissenschaftlicher Sicht gilt Literatur als ein besonderes Medium, das „Selbstbilder und Vergangenheitsversionen sowie Erinnerungs- und Identitätskonzepte ihres kulturellen Kontextes durch ästhetische Formen zu inszenieren, zu thematisieren und zu problematisieren“1 vermag. Daher hat sie einen aktiven Anteil nicht nur an Darstellung und Reflexion, sondern auch an Modellierung und Konstruktion von Erinnerung und Identität. Erinnerungen manifestieren sich durch Narration. Erinnerung, Narration, Kultur, Literatur und Gedächtnis bilden eine besondere Wechselwirkung. Literarische Texte lassen sich als kulturelle Dokumente auffassen, sie sind geprägt durch einen kulturellen Kontext, der sowohl die sozialen, politischen, ökonomischen und individuellen Rahmenbedingungen ihrer Entstehung und Entwicklung, als auch kulturelle Milieus, kollektive Denkmuster und mentale Denkstrukturen umfasst2. Fragen nach mentalen Denkformen und kollektiven Handlungsmustern einer Gesellschaft werden aufgeworfen, die in Literatur zuerst Eingang, dann einen Ort zur Bewahrung gefunden haben. Literatur wird nämlich als ein Ort der Erinnerung, als ein Baustein des kulturellen Gedächtnisses von Gesellschaften gewertet. In der Rede der Figuren lassen sich einerseits die einzelnen persönlichen Identitäten ergreifen, die sich in der verbalen Kommunikation artikulieren, andererseits lassen sich Züge einer kollektiven Identität auf der Ebene der Narration wahrnehmen, die durch den Erzähler inszeniert werden. So wird der Text zum Ort kollektiven Gedächtnisses. Erinnerungsprozesse sind darüber hinaus nicht nur an Ereignisse und Figuren gebunden, sondern an Räume, zu denen nicht nur Orte, sondern auch die das Ich umgebende, ihm zugehörige Dingwelt – Geräte, Möbel, Räume, ihre spezifische Anordnung – gehörten3. Erinnerungsprozesse haben eine Tendenz zur Lokalisierung, „das Gedächtnis braucht Orte, tendiert zur Verräumlichung“4. Das Gedächtnis ist nicht nur sozial (Halbwachs), sondern laut Assmann räumlich geprägt. Besonders gilt es für heilige Stätten, auf Grund derer „Gruppe und Raum eine symbolische Wesensgemeinschaft eingehen, an der die Gruppe auch festhält, wenn sie von ihrem Raum getrennt ist, indem sie die heiligen Stätten symbolisch reproduziert“5. Orte gelten für Gruppen nicht nur als Schauplätze ihrer Interaktionen, sondern als Symbole ihrer Identität und als Anhaltspunkte ihrer Erinnerung.