3.3.3. Aktuelle Innovationen: Möglichkeiten und Probleme

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Heute ist in vielen Verwaltungsbehörden, Medien, Universitäten usw. gleichsam ein eifriges Engagement im Gebrauch „politisch korrekter“ Sprachformationen zu beobachten. Einige Beispiele: Vorständin der Heinrich-Böll-Stiftung (RBB Inforadio, 02. 04. 2021) oder Ich bin jemand, die ganz verschiedene Vorbilderinnen hat (Welt, 04. 08. 2021). Medienberichten zufolge soll sogar Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich die Form Krankenschwesterin (Die Weltwoche, 09. 12. 2021)1 und die Außenministerin Annalena Baerbock Steuer:innenzahler2 verwendet haben. Im 2021er Bundestagswahlprogramm der Partei „Bündnis90/Die Grünen“ befinden sich, nach Auszählung des Verfassers, 590 Sterne auf 271 Seiten (z. B. jede*r Bürger*in auf Seite 20 und ein*e unabhängige*r Bundestierschutzbeauftragte*r auf Seite 55), außerdem wird oft mit Partizipialkonstruktionen operiert (z. B. Arbeitnehmende, Seite 106). Das Wahlprogramm der SPD erwähnt auf Seite 19 Techniker*innen- und Meister*innenkurse und schreibt auf Seite 13: Jedem/r Schüler*in muss ein digitales Endgerät […] zur Verfügung stehen. Im Wahlprogramm der Partei „Die Linke“ steht auf Seite 150: Fast jede*r zweite Jugendliche, der/die einen Job sucht […], auf Seite 107: trans* Personen und auf Seite 119: Dän*innen, Fries*innen, Sinti*zze und Rom*nja sowie Sorb*innen/Wend*innen leben seit Jahrhunderten in Deutschland. Gleichfalls beinhaltet der Berliner Koalitionsvertrag „Zukunftshauptstadt Berlin 2021–2026“ merkwürdige Ausformungen wie von Romn*ja und Sint*zze (Seite 68) und LSBTIQ*-sensibel (Seite 78). Der Jugendverband „Katholische junge Gemeinde“ (KjG) schlug Ende Oktober 2021 sogar vor, Gott mit Sternchen zu schreiben (Gott*), um eine Vielfalt der Gottesbilder auszudrücken,3 was ein gewisses Maß an Zustimmung fand.4

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Mittlerweile liegen zahlreiche Techniken für inklusive Schreibmodi vor. Zu den geläufigsten gehören:

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(a) Beid-/Doppelnennung: Studentinnen und Studenten. Diese Paarformen sollen der Sichtbarmachung auch der Frauen dienen, sie sind jedoch nicht sehr platzsparend.

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(b) Neutralisierung, d. h. die Nichtbenennung des Geschlechts: Studierende.

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(c) Abstraktion: akademische Jugend (statt Studenten).

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Außerdem, eigentlich nur schriftlich realisierbar:

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(d) Gender-Gap (Unterstrich): Student_innen. Die Lücke schiebt sich zwischen Wortstamm und Endung und schafft Platz für weitere Geschlechteridentitäten; sie soll somit die Geschlechterdiversität sichtbar machen, d. h. auch auf Personen referieren, die sich jenseits der Zweigeschlechtlichkeit verorten.

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(e) Binnen-I (wortinterne Großschreibung): StudentInnen (aus der Schweiz stammend bzw. von dort verbreitet); sie macht zwar Frauen sichtbar, schließt jedoch nicht binäre Personen aus.5

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(f) Asterisk (Sternchen, Gender-Star/-Stern):6 Student*innen. Das Sternchen, eine dem Deutschen übrigens völlig fremde Wortbildungsform, stammt aus Programmiersprachen. Es soll – im Einklang mit queerfeministischen Forderungen – symbolisch Raum für Personen bieten, die sich in einem binären System nicht (vollständig) wiederfinden.7 Der Gender-Star wird nicht als Leere, sondern als Bindeglied aufgefasst, welcher in alle Richtungen „strahlt“. Der Stern ist mittlerweile regelrecht zum Symbol geworden. Die einen, z. B. Eisenberg (2020: 17), sehen darin einen massiven Eingriff in das graphische System, die anderen, wie z. B. Lobin (2021: 144), erklären ihn lediglich zu einem simplen typographischen Detail. Von Kritikern wird der Genderstern (a) aus ideologischen Gründen (Ablehnung der Gendertheorien), (b) aus sprachsystematischen Gründen8 oder (c) aus Gründen der Ästhetik verweigert. Auf alle Fälle gilt, dass der Einsatz dieses Sternchens beim grammatisch normgerechten Schreiben von Singular-Formen Schwierigkeiten verursacht. Die semiotische Versprachlichung mit einem Asterisk (wie auch einem Binnen-I) ist auch deswegen nicht unbedenklich, da sie aufgrund der tradierten Struktureigenschaften des Sprachsystems nur eine Lesart als Femininum ermöglichen.

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(g) Splitting: ein/e Student/in; mehrere Varianten: Schrägstrich mit Ergänzungsstrich (Schüler/-innen) oder einfacher Schrägstrich (Schüler/innen).

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(h) Doppelpunkt-Schreibung: Student:innen; das Schriftzeichen ersetzt den Schrägstrich, kann aber für Irritation sorgen, da der Doppelpunkt normalerweise ein häufig verwendetes Satzzeichen ist.

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(i) Punkt: Student.innen.

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(j) Mediopunkt: Student·innen.

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(k) Einfaches Kodierungszeichen: Student’innen.

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(l) X-Variante: Studentx oder – wenn die Variante mit x so verwendet wird, dass das X (groß oder klein) die jeweilige morphologische Endung, die auch das Maskulinum enthält, ersetzt – Studx.

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(m) Leerzeichen: Student Innen.

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(n) Abkürzung: SuS (Studentinnen und Studenten).

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(o) Klammerung: Student(inn)en; eine bereits seit dem 19. Jahrhundert bekannte Praktik, bei der die feminine Wortendung eingeklammert an die maskuline Bezeichnung angehängt wird.
 

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Die unter (l) genannte (Extrem-)Position sieht sogar eine Ersetzung geschlechtlicher Wortendungen durch ein X vor: Studenx/Studierx, eine Variante: Prof.ecs Dr.ecs sowie neuerdings: Prof.ens Dr.ens XY; vgl. Hornscheidt, Sammla, 2021. Dabei steht ecs/ex für ‚Exit Gender‘ (das Verlassen von Zweigeschlechtlichkeit) bei Personen, die „entzweigendernd“ (also nicht weiblich oder männlich) sind. Als Personalpronomen in der 3. Person Singular ist ex unverändert in allen Kasus (Lann liebt es, mit anderen zu diskutieren. Ex lädt häufig dazu ein, einen Roman zu besprechen). Die Endung kann auch an den Stamm von Personenbezeichnungen angehängt werden: Schreibex, Schwimmex, Musikex (Lann und ex Freundex haben ex Rad bunt angestrichen). Ein weitergehender Vorschlag ist Y (gesprochen: wai) als Personalpronomen in der 3. Person Singular; wieder bei Menschen, die weder männlich noch weiblich, also ebenfalls „entzweigendernd“ sind. Dieses Y verweist auf das englische why? (deutsch: ‚warum?‘) und fragt damit auch nach dem Warum von „Zweigenderung“.9

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Bei den einzelnen Verfahren von (a) bis (l) offenbaren sich unterschiedliche, einander sogar widersprechende Konzeptionen: Die Doppelnennung zielt auf Sichtbarmachung und die Neutralisierung hingegen auf Unsichtbarmachung.

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Hinsichtlich von Ausdrucksstrategien empfehlen und praktizieren GS-Befürworter unter vielen anderen die Folgenden.

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(a) Ersetzung des maskulinen Bestimmungswortes von Komposita durch sexusirrelevante Erstglieder; z. B. RednerpultRedepult. Das führt zwar eine gewisse Entpersönlichung herbei, aber dagegen ist vom Sprachsystem her grundsätzlich nichts einzuwenden. Gleichwohl ist die Endung -er eigentlich kein genuines „Männersuffix“,10 sondern war ursprünglich bloß eine Markierung, um ein Verb in ein Nomen umzuwandeln (verbrechen > Verbrecher), auch bei Nicht-Lebewesen (Flieg-er, Fehl-er), manchmal mit einem weiteren Suffix als Femininum (Tischlerei). Ein weiteres Beispiel für geschlechtsneutrale Substantive ist der Einstiegskurs (statt Anfängerkurs).11

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(b) Ersetzung des Indefinitpronomens keiner durch niemand und von jeder, jede durch alle. Diese sind aber jeweils nicht bedeutungsgleich, somit geht durch den Vorschlag eine wesentliche, in vielen Sprachen vorhandene Ausdrucksmöglichkeit verloren.

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(c) Neutralisierung durch Partizip-Präsens-Ableitungen (eigentlich eine Vermeidungsstrategie): Studierende, wobei Studenten selbst schon aus einem lateinischen Partizip entstanden ist (vgl. Kluge, 1975: 760).12 Weitere Beispiele: RadfahrerRad Fahrende, Fußgängerzu Fuß Gehende, Linksabbiegernach links Abbiegende, GärtnerGärtnernde, KäuferKaufende, PolitikerPolitikschaffende, SäuferSaufende, neuerdings sogar LehrerteamTeam der Unterrichtenden, Bauherrden Bau in Auftrag gebende Person und PreisträgerPreistragende. Ein Manko dabei ist, dass diese Partizipien nur im Plural für beide/alle Geschlechter gültig sind (vgl. die Singularformen ein Studierender vs. eine Studierende). Außerdem liegt zwischen dem substantivierten Partizip und der Suffixbildung ein semantischer Unterschied vor (ein Denkender ist kein Denker und ein Blasender ist kein Bläser), sodass die Aufgabe der Substantivbildung den Verlust einer Differenzierungsmöglichkeit nach sich zieht. Zudem dient das Partizip Präsens zunächst der Markierung der durativen Aktionsart, sodass Ausdrücke wie schlafende Rad Fahrende oder demonstrierende Studierende eigentlich Nonsens sind, da ein Rad Fahrender nicht gleichzeitig schlafen kann und jemand, der demonstriert, in dem Moment nicht studiert usw.
 

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Man kann ferner auch andere Problemaspekte sehen. Beispielsweise lassen sich viele empfohlene Innovationen nicht konsequent umsetzen. So ist bei Adjektiven, die von Substantiven abgeleitet sind, keine explizite Rücksicht auf Frauen möglich: der ärztliche Bereitschaftsdienst, die künstlerischen Fähigkeiten, die königliche Würde etc. Analog sieht es auch bei denominalen Verben aus: verarzten, schriftstellern, bewirten etc. Ein weiterer Stolperstein: Wer das der unspezifischen pronominalen Bezugnahme auf Personen dienende Indefinitpronomen man durch frau ersetzt, müsste folgerichtig auch manche und jemand vermeiden. Außerdem ist mensch (statt des Indefinitpronomens man als Subjekt) auch Maskulinum. In GS stößt auch eine konsequente Movierung an Grenzen, denn Formen wie Hornöchsin oder Hampelfrau würde sich wohl kaum jemand wünschen. Bei Komposita treten gleichfalls Schwierigkeiten auf, denn streng genommen müsste der Arztbesuch Ärzt*Innenbesuch oder Ärztinnen- und Arztbesuch heißen und analog wären eigentlich Zusammensetzungen wie Bäcker*innenauszubildendeR, Kanzler*innenkandidat*innen, ArbeitnehmerInnenvertreterInnen, Schildbürger- und Schildbürgerinnenstreich die „richtigen“ GS-Formen. Überdies hat das Deutsche eine Anzahl mehr oder weniger geschlechtsfixierter fester Wortgruppen wie mit Mann und Maus,13 Herr der Lage, herrenlose Damentasche etc. sowie Sprichwörter wie Der Klügere gibt nach. Phonologische und morphologische Probleme tauchen ebenfalls auf. Bei Ärzt*innen, Anwält*innen, Jüd_innen und Kolleg*innen (mit welcher Schreibweise auch immer) liegen falsche maskuline Formen vor (Ärzt, Anwält, Jüd und Kolleg) und bei Bauer*innen ist die feminine Form falsch (Bauerin). Von der Lesbarkeit her sind Formulierungen wie Gesucht wird ein*e erfahren*er Optiker*in recht sperrig.

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Manchmal führt kein Weg am generischen Maskulinum vorbei; z. B. Angela Merkel war der achte Bundeskanzler seit der Gründung der Bundesrepublik. Hier wäre es sachlich nicht richtig, dass sie die achte Bundeskanzlerin war. Das generische Maskulinum kann nicht als „frauenfeindlich“ bewertet werden, in mancherlei Hinsicht gerade das Gegenteil: Da das Maskulinum als unmarkiertes Genus vielfach als neutral gilt, gibt es für Männer keine eigene Form. Wenn man betonen will, dass es sich um eine männliche Person handelt, bedarf es einer Attribuierung; z. B. Wie viele männliche Professoren haben Sie an Ihrer Fakultät? In manchen Fällen ist der Einsatz von GS-Doppelformen schon im Prinzip möglich, aber äußerst umständlich, sodass „bürokratische Monster“ entstehen; z. B. Jeder/Jede Professor/Professorin lobt seinen/ihren Studenten/Studentin

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Ein anderes Kontra-GS-Argument besteht darin, dass ohne generisches Maskulinum Frauen oft eher degradiert werden. Der Satz Frau Dr. XY ist der beste Arzt in der Klinik bedeutet, dass Frau Dr. XY von allen der beste Mediziner ist, während die feminine Version – Frau Dr. XY ist die beste Ärztin in der Klinik – ausdrückt, dass sie nur unter den weiblichen Ärzten die Beste ist.

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Ferner gehört auch die Aussprache zu den problematischen Aspekten. Als Lösungsversuch wird neuerdings das Sternchen gern als kurze Kunstpause beim Genderzeichen mit dem sogenannten Glottisschlag [ʔ] gesprochen.14 Eisenberg (2020: 22) weist nach, dass dieser glottale Verschlusslaut den wortprosodischen Grundregularitäten der deutschen Sprache widerspricht. Denn z. B. bei Lehrer*innen trägt – anstelle der ersten Silbe [le:] – die Silbe [ʔɪn] den Hauptakzent, obwohl der Glottisschlag normalerweise bei einem Vokal an einem (möglichen) Wortanfang auftritt zur Vermeidung vokalisch anlautender Silben. Und was sicher nicht zentral, aber doch interessant ist: Was sollte gendermäßig bei Tierbezeichnungen geschehen und wie sollte GS in Dialektvarietäten funktionieren?

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Anzumerken ist, dass sowohl in allgemeinen, z. B. amtssprachlichen, als auch in speziellen genderlinguistischen Texten oft inkonsequent gegendert wird. Beispielsweise liest man im erwähnten SPD-Wahlprogramm uneinheitlich Schüler*innen und Studierende (Seite 14) bzw. in der Monographie von Kotthoff, Nübling (2018) auf Seite 288 Rezipient(in), jedoch auf Seite 289 Witzrezipienten.

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Inwieweit sehen sich nicht binäre Menschen durch verschiedene Varianten von Personenbezeichnungen tatsächlich repräsentiert? Dieser Frage ging kürzlich Löhr (2021) mittels einer Online-Umfrage mit 324 Teilnehmern nach. Aus ihren Befunden geht hervor, dass sich die Befragten am ehesten durch neutrale Varianten (Studierende) angesprochen fühlen. Aber auch der Genderstern (Student*innen) und teilweise der Gap (Student_innen) schneiden besser ab als das Binnen-I oder die Beidnennung. Im Fazit wird allerdings eingeräumt, dass „keine der vorgestellten Optionen eine ideale Lösung darstellt“ (Löhr, 2021: 181). Gleichzeitig ist auch zu fragen, inwieweit nicht binäre Personen bei solchen Formen von der Sprachgemeinschaft mental repräsentiert sind.

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Statt nun auf weitere Details einzugehen, soll ein wichtiger Großbereich angesprochen werden: der der Nicht-Deutschmuttersprachler. Dieser Aspekt spielt im gegenwärtigen GS-Diskurs kaum eine Rolle. In Payrs (2021) 182-seitiger Monographie z. B. befindet sich kein einziger Hinweis auf die Disziplinen Deutsch als Fremdsprache (DaF), Deutsch als Zweitsprache (DaZ) oder die sogenannte Auslandsgermanistik. Auch in auslandsgermanistischen und -linguistischen Arbeiten wird, wie z. B. von Šastina, Jakubova (2018: 27), allenfalls erwähnt, dass die Kenntnis von Innovationen der gendersensiblen Sprache im Fremdsprachenerwerb wichtig ist. Dabei ist das Thema auch in der Sprachvermittlungspraxis bereits angekommen und entfaltet ein Bündel von Problemen. Zunächst einmal bringen Lernende mit einer Erstsprache ohne Nominalgenus-System15 wohl kaum eine ausgeprägte Affinität zu genus- bzw. genderbezogenen Facetten mit. Man kann allgemein gleichsam feststellen, dass Gendern grundsätzlich Inklusion vorsieht, jedoch tatsächlich in wesentlichen Punkten auf Exklusion hinausläuft. Schon bei muttersprachlichen Schüler(inne)n kommt man z. B. wegen der *innen-Schreibungen mit der im Deutschunterricht immer noch oft praktizierten – wenngleich umstrittenen – Methode „Schreiben nach Gehör“ nicht wirklich weit. Für diejenigen, die DaF oder DaZ lernen, bringt die GS erst recht eine Komplexitätssteigerung. Neben sprachsystematischen Schwierigkeiten kommt noch allgemeine Verwirrung dazu. Denn in Deutschland scheint für die Außenwelt keine klare Linie erkennbar zu sein, ob überhaupt, wann (z. B. in welchen Textsorten) und wie (mit welcher der vielen Techniken) gegendert werden soll. Das stellt für den DaF-Unterricht ein didaktisches Problem dar, denn welche Form soll dann vermittelt werden? Der Asterisk? Das Binnen-I? Oder gar kein Gender-Marker? Ferner kann die GS – angesichts vieler normwidriger Schreibungen – auch als ein Signal aufgefasst werden, dass Deutschsprachige orthographische und grammatische Korrektheit nicht (mehr) ernst nehmen. Fremdsprachler wundern sich unter Umständen, dass man in diesem Zusammenhang schnell bereit zu sein scheint, den Konsens sprachlicher Regeln beiseite zu schieben (vgl. auch Payr, 2021: 104).

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Wie sich GS-gesteuerte Formen auf den Lesefluss und die Verständlichkeit genau auswirken, ist noch offen. Es gibt eine Reihe von Studien, die zu ambivalenten oder zu heterogenen Schlussfolgerungen gelangen. Pöschko und Prieler untersuchten den Einsatz GS im muttersprachlichen Schulkontext (Pöschko, Prieler, 2018). 137 Schüler(innen) der Sekundarstufe II lasen jeweils eine von drei Fassungen eines Schulbuchtextes, wobei sich die Textversionen nur in der Realisierung der Personenbezeichnung (generisches Maskulinum, Schrägstrich-Schreibweise, Neutralisierung) unterschieden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Textfassung keinen signifikanten Einfluss auf die Erinnerungsleistung ausübt. Auch hinsichtlich der subjektiv bewerteten Verständlichkeit und der Güte der Formulierungen traten keine wesentlichen Unterschiede zutage. Allerdings schnitt bei der Lesbarkeit die mit Schrägstrich-Schreibweise gestaltete Version signifikant schlechter ab als die generisch maskulin formulierte.

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Braun et al. (2007: 188) analysierten den Einfluss verschiedener Personenbezeichnungsformen auf die kognitive Verarbeitung von Texten. Die Probanden lasen drei Versionen einer fiktiven Packungsbeilage, die hinsichtlich der Form der Personenbezeichnung (generisches Maskulinum, Beidnennung und Binnen-I) variierten. In Bezug auf alle drei Versionen ergaben sich ähnliche Werte,16 interessant ist aber, dass Männer Texte mit generisch maskulinen Bezeichnungen als verständlicher bewerteten.

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In anderen Publikationen wird ausgeführt, dass die teilweise größere Komplexität genderorientierter Formulierungen und ihre geringere Vertrautheit sinnerfassendes Lesen und die Verarbeitung von Texten erschweren, so z. B. Payr (2021: 113), der sich allerdings auf keine evidenzgestützten Untersuchungsergebnisse bezieht.

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Wie dem auch bei Deutschmuttersprachler(inne)n sein mag, bei Fremdsprachler(inne)n dürfte gelten, dass die komplizierteren Strukturen und Formen unökonomisch sind und das Erfassen der Kernaussage und somit die Verständlichkeit in welchem Ausmaß auch immer beeinträchtigen. Indes zählen Verständlichkeit und Sprachökonomie – zumal im Bereich DaF/DaZ und Auslandsgermanistik – als Qualitätskriterien für Texte. Bestimmt hängt der Schwierigkeitsgrad der Dekodierbarkeit nicht zuletzt von den einzelnen Textsorten ab, aber GS scheint für Fremdsprachige den Sprach- und Schrifterwerb auf keinen Fall zu erleichtern. Hierzu sind noch fundierte empirische Studien notwendig. Derzeit liegen erst nur episodische Beobachtungen vor, wie z. B. die Aussage einer Volkshochschul-Dozentin für DaF, die froh ist, „dass das sogenannte Binnen-I inzwischen oft ersetzt werde. In gedruckten Texten wie den Unterrichtsmaterialien gleiche das große I einem kleinen L. Wörter wie KundInnen seien für Nicht-Muttersprachler daher schwer zu lesen.“17

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Das Portal „Deutsch-lernen-online“ des Goethe-Instituts wirbt gleich in den ersten zwei Sätzen mit der Formulierung „Jederzeit und überall: Lernen Sie Deutsch – online und in Goethe-Qualität. Egal, ob Sie Anfänger*in oder Fortgeschrittene*r sind.“18 Ob diese Schreibung für Fremdsprachige wirklich so einladend wirkt?

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Ein positiver Ertrag der GS-Auseinandersetzungen könnte hingegen darin bestehen – da DaF/DaZ-Vermittlung und Auslandsgermanistik immer auch Landeskunde-Unterricht sind bzw. sein sollten –, dass dieses Themengebiet Potenzial für kulturelles Lernen bietet. Es ist ein Anlass für die Lehrenden, die damit verbundenen Aspekte wie Gleichstellung oder „politische Korrektheit“ (PC) tiefer zu thematisieren.
5 Außerdem vermeldet der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband Schwierigkeiten beim Vorlesen und bei der Darstellung in Blindenschrift; das betrifft auch die Praktik unter (f), siehe dazu auch Abschnitt 4.
6 Von manchen Gegnern, z. B. vom Verein für Sprachpflege, wird es ironisch auch als „Depp*innensternchen“ bezeichnet: https://deutsche-sprachwelt.de/2020/04/deppinnensternchen (Zugriff: 12. 01. 2023).
7 Von GS-Kritikern hört man gelegentlich den Einwand: Wer möchte schon als Transgender in einem Sternchen oder Unterstrich „mitgemeint“ sein? Beispielsweise: https://www.sueddeutsche.de/leben/leute-juergen-von-der-lippe-wettert-gegen-das-gendern-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220109-99-642204 (Zugriff: 12. 01. 2023).
8 Zifonun (2021: 314) betrachtet den „undifferenzierten Gebrauch des Gendersterns und seiner sprechsprachlichen Umsetzung als Hiatus“ als „nicht systemgerecht“. Eisenberg (2020: 21) qualifiziert die Sternchen als „sprachfremde Zeichen“.
9 Das Y bleibt ebenfalls identisch in allen Kasus (Lann liebt es, mit anderen zu diskutieren. Y lädt häufig dazu ein, einen Roman zu besprechen. Ys Lieblingsbeschäftigung ist es, zu lesen). Quelle: Webseite von Lann Hornscheidt unter https://www.lannhornscheidt.com/w_ortungen/nonbinare-w_ortungen (Zugriff: 12. 01. 2023).
10 Die Problematik liegt nun allerdings darin, dass das Suffix -er als ein solches re-interpretiert und dementsprechend sprachlich behandelt wird, egal, was es eigentlich mal war.
11 Im achten Kapitel des „Grünen Heinrich“ bedient sich Gottfried Keller des Kompositums Regierungsperson (Keller, 1985: 415, 416). Zum damaligen Zeitpunkt bezog sich das auf Männer, heute würden wir darunter Männer und Frauen verstehen, was wohl aus der sozialen Realität und nicht aus dem Sprachzeichen selbst resultiert.
12 Grimm konstatierte in seiner Rede „Über Schule, Universität, Academie“ (Grimm, 1984: 234): „Ist doch student ein so deutliches participium von studere wie studierender von studieren, und niemand sucht für docent, practicant, soldat ein vornehmeres docierender, practicierender, exercierender.“
13 Als Scherz könnte einem einfallen, die Wendung mit Mann und Maus der Alliteration zuliebe etwa durch mit Frau und Frosch zu ersetzen oder zu ergänzen.
14 Die erwähnte Luise F. Pusch gilt als die Erfinderin dieser Art des Genderns.
15 Ihre Größenordnung ist nicht unbedeutend; Zifonun (2021: 153) legt dar, dass von den im „World Atlas of Language Structures“ (WALS) behandelten 247 Sprachen weniger als die Hälfte über ein Genussystem verfügt.
16 Grundsätzlich ähnlich fielen auch z. B. die Befunde von Friedrich, Heise (2019) aus.
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