3.3.2. Verwendung des generischen Maskulinums als Gegenstand empirischer Studien

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Als Pro-Gendern-Argument wird oft ins Feld geführt, dass man beim Gebrauch des generischen Maskulinums eher an Männer denkt, d. h. das generische Maskulinum ein male bias bewirkt. Diewald betont, dass generisches Maskulinum „kein geschlechtsneutraler Ausdruck“ ist (Diewald, 2020: 5). Sylvain und Balzer äußern sich noch drastischer, nämlich, dass die deutsche Grammatik trans- und intergeschlechtliche Menschen ausgrenzt und sie unsichtbar macht (Sylvain, Balzer, 2008: 44).

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Klein unternahm 1987 in einem Vortrag auf dem Germanistentag in Berlin die erste empirische Untersuchung (mit 290 Probanden) zur angenommenen Benachteiligung von Frauen durch das generische Maskulinum und kam zu dem Ergebnis, dass Personenbezeichnungen mit generischem Maskulinum deutlich stärker auf Männer als auf Frauen bezogen werden (Klein, 1988).

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Aus den nachfolgenden Jahrzehnten stammen empirische Befunde zur Textverarbeitung mit Reaktionszeitmessungen (Inferenzexperiment), z. B. von Gygax et al. (2008): In dieser Studie ging es um die Komplexleistung aus Akzeptanz und Reaktionsgeschwindigkeit. Den Versuchspersonen wurden verschiedene Satzkombinationen vorgelegt; z. B. Die Sozialarbeiter liefen durch den Bahnhof. Wegen der schönen Wetterprognose trugen mehrere der Frauen keine Jacke. Die Frage war: Ist der zweite Satz eine sinnvolle Fortsetzung des ersten? Gemessen wurde die Zeit, bis die Probanden „ja“ drückten. Über diese Reaktionszeit wollte man indirekt herausfinden, wie gut Sprache und die Bilder, die dabei im Kopf entstehen, zusammenpassen.1 Das Ergebnis: Die Reaktionszeit war immer dann länger, wenn im zweiten Satz Frauen vorkamen; diese Sätze schienen also irgendwie zu irritieren. Dementsprechend fiel das Fazit aus, dass das generische Maskulinum eher innere Bilder von Männern im Kopf generiert. Man kann allerdings einwenden, dass es sich zunächst lediglich um Differenzen im Millisekundenbereich handelt. Die längere Verarbeitungszeit im Falle von Frauen lässt eine Verzögerung erkennen, wie sie auch im Falle von ganz alltäglichen Reparaturen auftritt, die auch Sprecher bei der Sprachproduktion auf der Basis ihres metasprachlichen Begleitbewusstseins fast immer problemlos vornehmen können; ja de facto handelt es sich hier um eine Reparatur.

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Die Untersuchung von Stahlberg, Sczesny (2001), bei der auf den Impuls „Nennen Sie drei Schauspieler!“ die Probanden eher männliche Künstler nannten, wird im einschlägigen Diskurs oft rezipiert. Mit Payr (2021: 26–27) kann man allerdings entgegenhalten, dass das Experiment nur von Psychologinnen, ohne Sprachwissenschaftler(innen) konzipiert und durchgeführt wurde.2 Außerdem war die Anzahl der Probanden mit 100 zu klein, ihre Auswahl nicht repräsentativ (ausschließlich Studentinnen und Studenten) und man hat den Eindruck, dass die Autorinnen als Verfechterinnen des Genderns nicht neutral waren. Ein linguistisch schwerer wiegendes Problem liegt darin, dass die Fragen nicht die klassische Verwendung des generischen Maskulinums enthielten: „Es ist leicht, die angeblichen Defizite des generischen Maskulinums zu beweisen, wenn man es auf eine Weise benutzt, die nicht seiner typischen Verwendung entspricht“ – bringt es Payr (2021: 29) auf den Punkt.

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Weitere Gegenargumente können sein: (a) Die höhere Assoziation mit dem männlichen Geschlecht ist wahrscheinlich nicht sprachlich bedingt, denn sie findet sich genauso auch in Sprachen ohne Genus-Kategorie. (b) Die Substantive Koryphäe oder Lichtgestalt sind Feminina, trotzdem wird eher an Männer gedacht.

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Diese „Kopfkino“-Studien (Terminus von Payr, 2021: 13, 23) beachten gewöhnlich nicht den Kontext, den Gebrauchszusammenhang, dass generisches Maskulinum,3 wie in Abschnitt 1 erläutert, als Generikum gilt und nicht konkrete Personen beschreibt, sondern dazu dient, allgemeine Aussagen zu treffen: Der Wähler hat entschieden. Die Rolle des Kontextes ist ganz entscheidend dafür, ob der Rezipient an eine konkrete männliche Person denkt oder den Satz generisch versteht, z. B.

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Ein Arzt ging die Straße entlang.

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Ein Arzt verdient viel Geld.

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Udo und Marion sind Ärzte.

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Alle mit Prämien dotierten Ärzte sind Frauen.
 

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Der Forschungsdiskurs bietet auch Studien, z. B. von Irmen, Linner (2005: 174), die den Befunden von Klein (1988), Gygax et al. (2008), Stahlberg, Sczesny (2001) und anderen widersprechen bzw. diese relativieren, nämlich, dass auch genusunmarkierte Formen (wie Studierende) „eher männliche als weibliche Assoziationen hervorrufen“, d. h. von einer geringeren kognitiven Repräsentation von Frauen zeugen.4 Die Studie von Körner et al. (2022: 13–14) mit rund 600 Probanden testete die Wahrnehmung von Sätzen mit drei verschiedenen Genderformen wie Autor*innen, nur Autoren und Autorinnen und Autoren. Dabei wurde festgestellt, dass auch das geschriebene Gendersternchen nicht dazu führt, dass Männer und Frauen vergleichbar stark wahrgenommen werden: Vielmehr wird in diesem Fall häufiger an Frauen als an Männer gedacht, sodass ein male bias offenbar einem female bias weicht.
1 Zu inferieren war jeweils die Referenzidentität von Sozialarbeiter mit Männer bzw. Frauen. Die Messungen der Verarbeitungszeit ergaben, dass diese im Falle von Männer kürzer ausfiel als im Falle von Frauen. Man hat es hier also mit einer tendenziellen Prototypisierung zu tun.
2 Oft wird bei derartigen Studien kein linguistischer Sachverstand eingeholt. Psychologen denken meist nicht über sprachsystematische Grundlagen nach, sondern erheben auf empirischem Weg Assoziationen von Menschen beim Umgang mit Sprache; ihr Gegenstand ist doch die menschliche Psyche. Zifonun (2021: 157) formuliert pointiert: „Die Linguistik hat sich – nicht nur auf diesem Feld – weitgehend in die Knechtschaft der experimentellen Psychologie oder der Kognitionswissenschaften begeben.“
3 Payr (2021: 14) meint: „Das generische Maskulinum gibt es im Deutschen nicht. [… Es] sind Maskulina, die in verschiedenen sprachlichen Kontexten verwendet werden und dort eine generische/inklusive Funktion übernehmen.“
4 Das zeigt, dass ein male bias unter Umständen auch über das generische Maskulinum hinausgeht. Ja, das tut er. Deswegen kontrollieren empirische Studien in der Regel, was für Stereotype mit den genutzten Nomen assoziiert werden (dann allerdings nicht immer diese auch differenziert analysieren). Genderstereotype liegen nicht mehr in der Kernkompetenz von Linguist(inn)en, sondern eher bei den Psycholog(inn)en und Sozialwissenschaftler(inne)n. Da die Stereotype in den meisten Aufgaben untrennbar mit den sprachlichen Varianten der GS verknüpft sind, muss die Forschung an dieser Stelle interdisziplinär sein.
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